Schweizer Kernwaffenprogramm


Beim Kernwaffenprogramm der Schweiz von 1945 bis 1988 handelte es sich um ein Programm zur eigenständigen Entwicklung und Herstellung von Atombomben für die Schweizer Armee.

Einen Monat nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki beriet die Landesverteidigungskommission der Schweiz 1945 darüber, was eine Atombombe für die Landesverteidigung der Schweiz bewirken könnte. 1946 wurde vom Bundesrat die Studienkommission für Atomenergie (SKA) ins Leben gerufen. Sie sollte die Möglichkeiten der zivilen Nutzung von Kernkraft untersuchen. Insgeheim wurde diese Kommission jedoch von Bundesrat Karl Kobelt beauftragt, die «Schaffung einer schweizerischen Uran-Bombe oder anderer geeigneter Kriegsmittel, die auf dem Prinzip der Atomenergie-Verwendung beruhen», voranzutreiben. 1947 gewährte das schweizerische Parlament einen Kredit in Höhe von 18 Millionen Schweizer Franken, ohne von den militärischen Absichten Kobelts und somit auch der Kommission zu wissen.

Mit Paul Scherrer war ein renommierter Kernphysiker Vorsitzender der SKA. Er hatte gute Kontakte zu Fachkollegen wie Werner Heisenberg, Lise Meitner und Otto Hahn. Er war direkt am Projekt Matterhorn zur Erforschung der Kernfusion beteiligt. Mit seinem Fachwissen und seinen Kontakten war er somit eine massgebliche Stütze des schweizerischen Kernwaffenprogramms. Der Bundesrat erliess im Juli 1958 eine Grundsatzerklärung, in der folgendes festgehalten wurde: «In Übereinstimmung mit unserer jahrhundertealten Tradition der Wehrhaftigkeit ist der Bundesrat deshalb der Ansicht, dass der Armee zur Bewahrung der Unabhängigkeit und zum Schutze unserer Neutralität die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören Atomwaffen.» Somit bezog die Schweiz erstmals öffentlich Position und machte klar, dass sie an die Einführung von Kernwaffen denke. Der Bundesrat selbst verstand diese Aussage, wie man einem diplomatischen Memorandum entnehmen konnte, so, dass eine Beschaffung von Kernwaffen nur dann notwendig wäre, wenn neben den bisherigen drei Atommächten (USA, Großbritannien, Sowjetunion) weitere Länder dieses Monopol brechen würden. Es sollte aber deutlich demonstriert werden, dass die Schweiz an der Schwelle zur Produktion von Kernwaffen stand. Insbesondere wurden die deutschen Nachbarn misstrauisch beobachtet. Es wird angenommen, dass im Falle einer atomaren Aufrüstung bei der deutschen Bundeswehr die Schweiz den gleichen Schritt unternommen hätte.

Im Frühjahr 1964 legte eine Arbeitsgruppe des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD), die ebenso auch Atombombentests in der Schweiz guthiess, einen geheimen Ausrüstungsplan für die Einführung der Atombombe vor. In der ersten Phase des Plans sollten «fünfzig Fliegerbomben à sechzig bis hundert KT» beschafft werden. In Phase zwei sollten anschliessend zu einem späteren Zeitpunkt weitere 200 Bomben beschafft werden.[2] Um in der Schweiz nach Uran zu suchen, die Ultrazentrifugen zur Urananreicherung sowie die Atomwaffentechnik selbst voranzutreiben sowie um endgültig zu klären, ob in der Schweiz Atombombenversuche durchgeführt werden könnten, beantragte der damalige Generalstabschef Jakob Annasohn bei Bundesrat Paul Chaudet, dem Vorsteher des EMD, eine Bewilligung des Gesamtetats von 20 Millionen Franken beim Bundesrat anzustreben. Der Antrag kam am selben Tag vor den Bundesrat, an dem auch über den Zusatzkredit in Höhe 576 Millionen Franken für die Beschaffung der Mirage III entschieden wurde. Die damit angebahnte Mirage-Affäre führte somit auch zu einem grossen Rückschlag bei den atomaren Bestrebungen der Schweiz. Der Bundesrat gab dem Antrag Annasohns zwar statt, torpedierte jedoch seinen eigenen Beschluss durch stark eingeschränkte Personalressourcen. Auch nach dieser Entwicklung erklärte Paul Scherrer 1967 in einem Gespräch mit einem schweizerischen Militärattaché, dass der Schweiz alles über die Konstruktion der Bombe bekannt sei und dass nach einer Entwicklungszeit von vier Jahren und einer Investition von einer Milliarde Franken eigenständig eine Atombombe gebaut werden könne. Durch den Abschluss des Atomwaffensperrvertrags im Juli 1968 kamen die Bestrebungen, die Schweiz als Atommacht aufzubauen, erstmals auch in einen deutlichen politischen Gegenwind aus dem Ausland. Aufgrund dessen und infolge des stetig wachsenden innenpolitischen Drucks unterzeichnete die Schweiz im November 1969 den Atomwaffensperrvertrag. Der Vertrag wurde jedoch erst im März 1977 ratifiziert, nachdem klar wurde, dass Staaten, die nicht dem Vertrag angehörten, immer stärkerem politischen und wirtschaftlichen Druck ausgesetzt waren. Erst Bundesrat Arnold Koller beendete die Bestrebungen im November 1988, als er den Nachfolger des SKA, den Arbeitsausschuss für Atomfragen auflöste.1995 stimmte die Schweiz der unbefristeten Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags zu, dieser sieht ein vollständiges Verbot von Atomtests und ein effizientes Überprüfungssystem vor. 1996 erfolgte auch die Zusage zum umfassenden Atomteststoppabkommen.

Neben der abschreckenden Wirkung von Atomwaffen waren auch Präventiv- oder Vergeltungsschläge gegen mögliche Aggressoren geplant. Die Mirage III wäre in der Lage gewesen, Atombomben bis nach Moskau zu tragen. Es wurden sogar Forderungen gestellt, bei einer möglichen Invasion der Schweiz durch einen Aggressor die Waffen auf Schweizer Boden einzusetzen.